
Fabian Dietrich, in der Schweiz ein gefragter Gutachter zum Thema «Baum und Sicherheit». (Bild: zvg)
Das sind die Fakten kurz zusammengefasst:
- Die Bäume waren und sind in extrem guten Zustand
– Mit 60 bis 70 Jahren haben sie erst ein Fünftel ihrer Lebensdauer erreicht
– Sie sind mit vergleichsweise geringem Aufwand zu pflegen
– Die Sicherheitssituation ist jetzt durch die unbedachte Fällung schlechter als zuvor (hinterliegende Bäume stehen ungeschützer als zuvor)
– Eine Neubepflanzung in gleichem Abstand wie bisher (nicht wie von der Stadt vorgeschlagen loser) zwischen die Stümpfe ist gewünscht
Die Fondation Franz Weber hat einen Tag lang einen unabhängigen Baum-Experten ins Tägermoos geschickt, um Klarheit in den Fall Pappelallee zu bringen: Ging von den gefällten und den noch stehenden Alleebäumen tatsächlich eine Gefahr für Spaziergänger und Fahrradfahrer auf dem beliebten Wanderweg am Seerhein aus, wie von der Stadt Konstanz dargestellt?
Für Fabian Dietrich, in der Schweiz ein gefragter Gutachter zum Thema «Baum und Sicherheit», steht schon nach kurzem Augenschein fest: Was die Konstanzer Stadtverwaltung hier angeordnet hat, ist vollkommen unverständlich und spricht für fehlendem Sachverstand. «Für mich ist da ein riesiges Fragezeichen», so der Berner Baumexperte. «Warum wurden diese Bäume gefällt?» Sicherheit kann keine Rolle gespielt haben, so viel sei sicher. «Ich hatte mich auf Zweifelsfälle eingestellt, aber das hier waren alles vitale Bäume, die standsicher waren.» Der drahtige Schweizer schüttelt den Kopf. Nicht einmal eine der Pappeln sei auch nur grenzwertig gewesen. Kein einziger der Bäume hätte mit der Begründung der Verkehrssicherungspflicht gefällt werden müssen. «Die Bäume sind in extrem guten Zustand. Der Standort hier ist ideal». Auf die wenigen hohlen Bäume angesprochen, beeilt sich Dietrich zu erklären: «Es ist absolut normal, dass ein Baum ab einem gewissen Alter Fäulnis hat, aber für die Standsicherheit hat das nichts zu bedeuten.» Solange die Restwand dick genug ist, sei das kein Problem. «Bäume wachsen anders als Menschen ihr ganzes Leben lang». So gleiche ein Baum auch eine Höhlung wieder aus.
«Die Bäume der Allee sind allesamt sehr vital», so Dietrich. Da reiche schon ein erster Blick auf den Stamm. Fabian Dietrich zeigt auf helle Risse im Wurzelbereich einer der noch stehenden Pappel: «Das sind Wachstumsrisse, dem Baum geht es gut». 60, 70 Jahre alt sind die Bäume, hat er festgestellt. «Eine junge Allee», so Dietrich, denn die Kanadische Hybrid-Pappel kann 300 Jahre alt werden. Auf menschliche Verhältnisse umgerechnet seien die Bäume also 20jährige und keineswegs «altersschwach». Selbst wenn ein Baum früher abstürbe, bedeute das noch nicht, dass er umfalle, so Dietrich. Und wenn dann doch einer mal nicht standsicher sei, so könne man den ganz unproblematisch ersetzen. Stärkere Schnitte an den Nachbarn sorgten dann für genügend Licht.
Nachdem er den Stamm begutachtet hat, wandert Dietrichs Blick nach oben. Er will die Bruchsicherheit der Pappeln prüfen. «Bäume sind faul,» so Dietrich. «Wenn ein Ast nicht genug Licht bekommt, also dem Baum genug Energie liefern kann, wird er abgeworfen.» Doch dieses Problem lasse sich leicht lösen. «Totholz erkenne ich schnell, es hat eine andere Struktur als lebendige Äste». Im Tägermoos hat er nur «ganz wenig» Totholz gefunden. Die Pflege sei in solchen Fällen unkompliziert. Ähnlich wie auch die Vorsorge vor Grünabwurf, der anderen häufig zitierten Gefahr im Zusammenhang mit Pappeln. Völlig unvermittelt könne ein Baum einen grünen Ast abwerfen, hiess es auch seitens des Thurgauer Försters bei der Ortsbegehung im Februar. Ganz so unvermittelt sei das nicht, korrigiert Fabian Dietrich die pauschale Aussage. Ein Ast müsse schon eine bestimmte Länge erreichen, um zu brechen, sonst habe er nicht den nötigen Hebel. Bei der Pappelallee sei die potenzielle Gefahr durch einige wenige Entlastungsschnitte leicht zu entschärfen, denn nur sehr wenige Äste erreichten über dem Weg eine kritische Länge. «Was rechts und links vom Weg runterfällt ist für die Natur sogar wertvoll,» ergänzt er. Die Bäume müssen alle 5 Jahre von Baumkletterern gepflegt und jährlich auf Sicht inspiziert werden. «10.000 Franken würde das die Stadt ihm Jahr maximal kosten.» Weiger, als die Fällungen gekostet haben… «Auf die Stadt werden durch die Fällung hohe Folgekosten zukommen: Neupflanzungen auf der Brache sind schwieriger als im Bestand. Die Jungbäume müssen vor Sonne und Verbiss geschützt werden. Die neuen Lichtverhältnisse sind ideal für Neophyten, die regelmässig entfernt werden müssen.» Ausserdem müsse die Stadt nun mehr in die Baumpflege in die weiter vom Weg stehenden Bäume stecken. Bisher waren die von den hohen Alleebäumen geschützt. Nun seien sie tatsächlich nicht mehr standsicher, zumal sie beim Fällen zum Teil schwer geschädigt wurden. Bei Wind könnten sie auf den Weg stürzen. Es ist absurd – statt die Sicherheit im Tägermoos zu erhöhen, hat die dilettantische Fällaktion die Gefährdung von Fussgängern und Fahrradfahren auf dem beliebten Seerheinweg erhöht.
Fabian Dietrich ist bestürzt «In meinen 20 Jahren Berufserfahrung habe ich so etwas noch nicht erlebt – dass eine gesunde Allee gefällt wird!» Er gibt die Empfehlung, so schnell wie möglich wieder aufzuforsten, im gleichen Abstand wie bisher. Aber bitte schön mit Bäumen ordentlicher Grösse. Die Stadt will mit 1,90 Meter kleinen Bäumen aufforsten. «Vier Meter!», hält Dietrich dagegen, dann geht das mit der Neuen Allee wesentlich unproblematischer. Das Argument, nur kleine Bäume würden gut als Allee nachwachsen, lässt er nicht gelten. «Kleine Bäume kosten eben weniger. Da geht es nur um Kosten!» Mal wieder.