Im April 2008 kommt es in einer Güttinger Tiefgarage zum Eklat zwischen dem damals 71 Jahre alten Verwalter der Tiefgarage, Maximilian Poschler, und dem damals 46-jährigen Mieter einer Garagenbox, Beat Stichel (Namen von der Redaktion geändert). Der Streitgrund ist banal: Es geht um das Garagentor. Stichel will dieses offen haben, hat dazu den Stecker des Türöffners gezogen. Poschler will das Tor geschlossen haben. Es kommt zum Gerangel, danach liegen beide auf dem Boden, Stichel oben auf. Beide sind verletzt: Dem Älteren sind Zähne abgebrochen, er hat zudem mehrere Rippenbrüche und sagt, dass er bewusstlos war. Der Jüngere erleidet ein Schleudertrauma und mehrere Schürfwunden. Vier Tage ist er deswegen arbeitsunfähig.
Verfahren wurde erst eingestellt
Noch am gleichen Tag stellen beide Strafantrag gegeneinander. Als die Untersuchungen abgeschlossen sind, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Maximilian Poschler ein. Dagegen reichte Stichel fristgerecht Beschwerde ein. Das Obergericht des Kantons Thurgau gab ihm 2011 recht. So kam es, dass der kuriose Doppelfall fünf Jahre nach der Tat vor dem Bezirksgericht verhandelt wurde.
Wer fing den Streit an?
Über die oben genannten Fakten herrscht indes weitgehend Einigkeit. Doch wer hat den Streit angefangen? Beide Männer beschuldigen sich gegenseitig.
In Poschlers Version greift ihn Stichel unverwandt an, tritt ihn, drückt ihn mit aller Gewalt auf den Betonboden, auch das Gesicht. «Ich selbst habe Stichel nie angelangt», sagt der Österreicher. Noch heute sei der Blutfleck auf dem Boden zu sehen. Den Kampf spielt der sichtlich erregte Poschler nach, steht dazu auf, läuft einige Schritte vor und gestikuliert wild. «Ich bin impulsive», gibt er zu, betont aber, zu 100 Prozent invalide zu sein. «Sonst hätte ich es dem gegeben.»
Mehrmals muss der 76-Jährige von Richter Thomas Pleuler ermahnt werden. Auch der Protokollantin ist sein Vortrag zu hektisch. Überall scheint Poschler zudem eine Verschwörung zu wittern. Fotos seiner Verletzungen seien plötzlich verschwunden gewesen, ein Gutachten würde ihm verweigert. Es sei ein abgekartetes Spiel von Schweizern gegen einen Ausländer, deutet er einmal an.
Wer anderen eine Grube gräbt …
Stichel sagt hingegen aus, der Rentner habe ihn umgerissen, als er den Stecker wieder einstecken wollte. In der Folge sei er auf ihn drauf gefallen. Getreu dem Motto «Wer anderen eine Grube gräbt …» sei Poschler also selbst schuld an seinen Verletzungen, wird sein Verteidiger später plädieren. Stichels Vortrag ist ruhig; er sagt: «Ich habe versucht, ihn zu fixieren.» Blut habe er keines gesehen. Er sagt: «Ich möchte nur, dass das endlich ein Ende hat.»
«Alles, was er sagt, ist gelogen», ruft der aufgebrachte Poschler darauf. Wieder muss er ermahnt werden. Als er die Vorgeschichte des Nachbarschaftsstreits – scheinbar kam es schon öfter zur Konfrontation zwischen beiden, mit Polizeieinsatz und Anzeigen – zur Sprache bringen will, unterbricht ihn der Richter. «Das tut nichts zur Sache.» Persönliche Hintergründe wie die Invalidität Poschlers oder der sportliche Hintergrund Stichels werden vom Richter nicht zum Thema gemacht.
Schuldfrage nicht geklärt
Man habe keiner der beiden Parteien eindeutig nachweisen können, für die Verletzungen des anderen verantwortlich zu sein, begründete das Bezirksgericht die Freisprüche. Hinsichtlich Stichels Schuld müsse «im Zweifel für den Angeklagten» entschieden werden. Es sei aber auch durchaus denkbar, dass Poschler «die Ursache für den Sturz selbst gesetzt hat». Beide tragen Schuld am aufwändigen Verfahren, werden dafür pauschal mit nur einem Teil der Kosten, 4000 Franken, entschädigt. Die jeweiligen Zivilforderungen werden abgewiesen.
Wütender Gefühlsausbruch
Während das Urteil keine Regung bei Stichel hervorruft, kann sich Poschler nicht beherrschen: «Das ist eine Sauerei, was da läuft», ruft er und gestikuliert bedrohlich abwertend. Sein Anwalt schiebt ihn aus dem Raum. Er werde Einspruch einlegen, kündigt der schimpfende Poschler an. «Bis auf Strasburg werde ich den Fall weiterziehen.»