
Pfarrer Mussie Zerai beschreibt grausige Zustände und Menschenrechtsverletzungen, Monika Sinniger dolmetscht aus dem Italienischen. (Bild: sb)
«Der Staat handelt so repressiv, weil er einen Aufstand der Jungen fürchtet», erklärte Mussie Zerai am Dienstagabend im Flüchtlingscafé Agathu. Er informierte auf Einladung der Arbeitsgruppe für Asylsuchende Thurgau (AgaThu) über die Situation in Eritrea. Derzeit fliehen sehr viele Menschen aus der Republik am roten Meer nördlich des Horns von Afrika.Gründe dafür gebe es zuhauf, berichtete Zerai: Wer Staats-, Regierungs- und Armeechef Isayas Afewerki kritisiert, sei in Gefahr. Viele Journalisten seien seit Jahren inhaftiert, häufig würden sie gefoltert.
«Eritrea ist keine Demokratie, es gibt keine Wahlen», erklärte Zerai. Verfolgt werde auch, wer einer anderen als einer der vier staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften angehört. Faktisch ab dem 16. Lebensjahr und dann lebenslang würden junge Menschen in den Militärdienst gezwungen. Sein eigener Bruder habe zwei Jahre Gefängnis erdulden müssen, weil er heiraten wollte, das Militär ihn aber nicht habe gehen lassen. Seit 20 Jahren sei der Bruder im Militärdienst, zu einem Hungerlohn, wie so viele. «In Eritrea gibt es keine Zukunft und keine Sicherheit», so Zerai. Der Pfarrer selbst flüchtete vor 20 Jahren. Er lebt mittlerweile in der Westschweiz und in Italien, hilft Landsleuten auf der Flucht. Zerais Bericht deckt sich mit Einschätzungen von Amnesty International.
Flucht ist lebensgefährlich
Wie gefährlich die Flucht nach Europa ist, veranschaulichte Zerai mit einem Film, der auch auf sciabica.tumblr.com zu sehen ist. Überlebende des Schiffsunglücks, bei welchem vor gut einem Jahr so viele Menschen ums Leben kamen, erzählen von ihrer Flucht, von mordenden und Lösegeld erpressenden Menschenhändlern, von Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten, bei denen vielen Anwesenden die Luft weg blieb.
In der Tat gibt es aber Menschen, die Berichte wie die von Zerai als Schauermärchen bezeichnen, der Wettinger Gynäkologe und Vertraute des Diktators Afewerki etwa, Toni Locher. Wie geht das zusammen, wollte Elisabeth Hofmann wissen. Es sei bezeichnend, wenn auch Journalisten, die mit Locher reisen, das Filmen verboten werde, meinte Zerai dazu. Eritrea sei ein wunderschönes Land mit rund 300 Inseln, das sicherlich einen florierenden Tourismus entwickeln könne, wenn die Diktatur gestürzt wird, beantwortete der Pfarrer eine weitere Frage aus dem Publikum. Heute ist das Land auf das Geld der Auslandseritreer angewiesen.
«Wir wollen informieren», erklärte Karl Kohli, Präsident der AgaThu, das Ziel der Veranstaltung. Dies geschehe vor dem Hintergrund von Forderungen wie der des Parteipräsidenten der FDP Schweiz, Philipp Müller. Er will die politische Situation in Eritrea und Rückführungen dorthin neu prüfen lassen
Ein Fazit, das sicherlich einige Besucher mit nach Hause nahmen, war indes: Schnelle Lösungen für die Situation im gebeutelten Land und auch für die Schwierigkeiten der Eritreer im Exil gibt es nicht. «Die Mächtigen haben zu wenig Interesse, um zu intervenieren, weil das Land dann doch zu wenig Öl und Rohstoffe hat», war einer der Schlusspunkte von Zerai. «Und der Diktator sitzt fest im Sattel.»
Eritrea
Der Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien endete 2000, die Feindschaft zwischen beiden Ländern schwelt immer noch. Die Ländergrenze wird von Äthiopien nicht akzeptiert. Der praktisch permanente Kriegszustand gibt dem Diktator die Rechtfertigung für sein brutales Vorgehen. Aus diesem Land kommen derzeit die meisten Asylsuchenden in die Schweiz. 5943 waren es 2013. Vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2014 haben allein im Kreuzlinger Empfangs- und Verfahrenszentrum 1418 Personen aus Eritrea ein Asylgesuch gestellt.