
Fast Food und Fertigprodukte sind bei Kindern und Jugendlichen heute sehr beliebt. «Eltern und Schule sollten sich mehr Zeit für die Aufklärung über gesunde Ernährung nehmen», so Dr. Roland Ballier. (Bild: archiv)
Fangen und Verstecken spielen, Fahrrad fahren oder auf dem Bolzplatz eine Runde kicken gehen – sich in der Freizeit auszutoben ist bei den Heranwachsenden heute nicht mehr so beliebt. Sie verbringen mehr Zeit zu Hause, schauen fern, sitzen am Computer oder sind mit ihren Smartphones beschäftigt. Dazu kommt, dass viele Kinder und Jugendliche die fettigen Fast-Food-Gerichte und süssen Naschereien dem Obst und Gemüse vorziehen. Dabei ist es lange bekannt: Zu wenig Bewegung und eine unausgewogene sowie unregelmässige Ernährung machen dick.
«In der Tat sind Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen Probleme, die nicht weniger, sondern immer mehr werden», weiss Dr. Roland Ballier, Praktischer Arzt und Leiter des Kreuzlinger Gesundheitszentrums santémed. «In der Schweiz sind heute etwa 20 Prozent aller Kinder zwischen vier und 18 Jahren betroffen.»
Ein ungesundes Angebot
Selbst gekocht wird heute nur noch selten. Wenn beide Eltern berufstätig sind, kommen häufig Tiefkühlpizzen und andere halbfertige Produkte auf den Tisch – schnelle Mahlzeiten, die sich ein Kind auch alleine zubereiten kann. Das Angebot ist gross, doch «die Nahrungsmittel sind meist so hergestellt, dass sie nicht nur gut schmecken, sie machen auch noch Lust auf mehr», so Dr. Ballier. «Wer seinem Kind dann noch Cola statt Wasser reicht, der hat wirklich alles falsch gemacht.» Gute Nährstoffe sucht man in Pommes frites, Burgern, Fertigprodukten und Co. nämlich vergebens: «Sie enthalten hauptsächlich Zucker, Kohlenhydrate und Fett.» Je mehr Zucker ins Blut gelangt, desto mehr Insulin schüttet die Bauchspeicheldrüse aus, «und Insulin ist ein Masthormon», erklärt der Leiter des Gesundheitszentrums. «Es hat die Aufgabe, den Blutzuckerspiegel zu senken. Dabei wandelt es den Zucker in Fett um, dieses wird abgelagert.»
Zu viel Speck macht krank
Kinder, die übergewichtig sind, geraten schnell in einen Teufelskreislauf: Sie machen noch weniger Sport, da sie sich unbeholfen bewegen, sich dabei nicht gut fühlen und von anderen Kindern gehänselt werden. Aus Frust wird häufig wieder zum Essen gegriffen.
Doch unter Übergewicht leidet nicht nur das Selbstbewusstsein, es birgt auch grosse Gefahren für die Gesundheit. «Je früher und länger Übergewicht oder gar Adipositas besteht, desto eher kommt es zu Folgeerkrankungen», erklärt Dr. Ballier. Es sind Krankheiten, die sonst nur Erwachsene haben. «Im Kindesalter werden bereits die ersten Schäden an den Blutgefässen gesetzt. So können schon Kinder an Arteriosklerose leiden.» Weit verbreitet ist auch Typ-2-Diabetes mellitus, auch «Altersdiabetes» genannt. Eine Krankheit bei der das körpereigene Insulin zunehmend seine Wirksamkeit verliert. Aber auch andere Beschwerden, wie z. B. hoher Blutdruck, Gelenkprobleme und Fettstoffwechselstörungen können die Folgen sein. Zudem steigt die Gefahr, im Erwachsenenalter einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden.
Je länger ein Kind übergewichtig ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es als Erwachsener zu dick sein wird. Und mit zunehmendem Alter ist es schwerer, das Gewicht wieder loszuwerden. Übergewicht sollte also in jungen Jahren gleich erkannt werden.
Wird «dick sein» vererbt?
«Die genetische Veranlagung spielt für Übergewicht hingegen nur eine untergeordnete Rolle», weiss Dr. Ballier. «Dicke Eltern haben meist auch dicke Kinder, doch weniger genetisch bedingt, als durch das Verhalten.» So sieht er vor allem die Eltern in der Pflicht: «Neben dem Nahrungsmittelangebot spielt die Erziehung eine grosse Rolle. Eltern haben eine Vorbildfunktion. Sie sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und sich mehr Zeit dafür nehmen, ihre Kinder über eine gesunde Ernährung aufzuklären.» Dazu gehört es auch, dem Kind zuzugestehen, den Teller nicht leer essen zu müssen, wenn es keinen Hunger mehr hat. So kann das Sättigungsgefühl trainiert werden. Säuglinge und Kinder mit Essen ruhig zu stellen oder sie mit Süssigkeiten zu belohnen ist nicht die richtige Lösung.
Für Dr. Roland Ballier gehört zudem das Fach «Ernährungslehre» in jede Schule. «Den Kindern und Jugendlichen müssen die Zusammenhänge erklärt werden, so können sie später auch eigenverantwortlich handeln.»
An der Ernährung drehen
«Bei Übergewicht herrscht ein Missverhältnis zwischen der Kalorienaufnahme und dem -verbrauch», erklärt Ballier. «Bei Kindern lässt sich das in der Regel durch eine Ernährungsumstellung ausgleichen.» Von Diäten hält er dabei nichts. Vielmehr gilt: weniger Süssigkeiten, Kohlehydrate und Fett, dafür mehr Eiweiss, Gemüse und Obst auf den Tisch zu bringen. Geeignete Durstlöscher sind zudem Mineralwasser, ungesüsste Frucht- und Kräutertees sowie ab und zu Fruchtsaftschorlen.
Sport und Abenteuer
Um überschüssiges Körperfett loszuwerden ist auch Sport nach wie vor ein wichtiger Faktor. Egal ob Fussball, Schwimmen oder Ballett-Tanzen – wichtig ist, dass Kinder etwas machen, das ihnen Freude bereitet. Gerade in jungen Jahren sind auch die Eltern gefragt. Sie können z. B. mit Radtouren bei ihren Kindern für Bewegung und Abenteuer sorgen, gleichzeitig wird der Gleichgewichtssinn geschult. Wenn ein Kind lieber Einrad fährt, umso besser: «Das ist nicht nur Training für den Körper, sondern auch für’s Gehirn und die Koordination.» Und das Gute daran ist: «Was Kinder in jungen Jahren lernen, von dem profitieren sie ein Leben lang.»
Übergewicht? Adipositas?
Für Kinder gibt es nicht ein einziges «Idealgewicht». «Grösse und Gewicht sollten immer in einer Relation erfolgen», erklärt Dr. Roland Ballier. Ist das Körpergewicht im Vergleich zur Grösse zu hoch, spricht man von Übergewicht, der Vorstufe von Adipositas. Eine Adipositas (Fettleibigkeit) besteht, wenn die Vermehrung des Körperfettes sehr gross und mit krankhaften Auswirkungen gekennzeichnet ist. Zur Prävention sollte auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung geachtet sowie Stress vermieden werden.